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Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis

Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
Gemeinsames Protokoll über Leitsätze

In Ergänzung des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion haben die Hohen Vertragschließenden Seiten folgende Leitsätze vereinbart, die gemäß Artikel 4 Absatz 1 Satz 1 des Vertrags verbindlich sind:

A. Generelle Leitsätze
I. Allgemeines
1.
Das Recht der Deutschen Demokratischen Republik wird nach den Grundsätzen einer freiheitlichen, demokratischen, föderativen, rechtsstaatlichen und sozialen Ordnung gestaltet und sich an der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft orientieren.
2.
Vorschriften, die den Einzelnen oder Organe der staatlichen Gewalt einschließlich Gesetzgebung und Rechtsprechung auf die sozialistische Gesetzlichkeit, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, die Vorgaben und Ziele zentraler Leitung und Planung der Volkswirtschaft, das sozialistische Rechtsbewußtsein, die sozialistischen Anschauungen, die Anschauungen einzelner Bevölkerungsgruppen oder Parteien, die sozialistische Moral oder vergleichbare Begriffe verpflichten, werden nicht mehr angewendet. Die Rechte und Pflichten der am Rechtsverkehr Beteiligten finden ihre Schranken in den guten Sitten, dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Schutz des wirtschaftlich schwächeren Vertragsteils vor unangemessener Benachteiligung.
3.
Genehmigungsvorbehalte sollen nur aus zwingenden Gründen des allgemeinen Wohls bestehen. Ihre Voraussetzungen sind eindeutig zu bestimmen.
II. Wirtschaftsunion
1.
Wirtschaftliche Leistungen sollen vorrangig privatwirtschaftlich und im Wettbewerb erbracht werden.
2.
Die Vertragsfreiheit wird gewährleistet. In die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung darf nur so wenig wie möglich eingegriffen werden.
3.
Unternehmerische Entscheidungen sind frei von Planvorgaben (z.B. im Hinblick auf Produktion, Bezüge, Lieferungen, Investitionen, Arbeitsverhältnisse, Preise und Gewinnverwendung).
4.
Private Unternehmen und freie Berufe dürfen nicht schlechter behandelt werden als staatliche und genossenschaftliche Betriebe.
5.
Die Preisbildung ist frei, sofern nicht aus zwingenden gesamtwirtschaftlichen Gründen Preise staatlich festgesetzt werden.
6.
Die Freiheit des Erwerbs, der Verfügung und der Nutzung von Grund und Boden und sonstiger Produktionsmittel wird für wirtschaftliche Tätigkeit gewährleistet.
7.
Unternehmen im unmittelbaren oder mittelbaren Staatseigentum werden nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit geführt. Sie sind so rasch wie möglich wettbewerblich zu strukturieren und soweit wie möglich in Privateigentum zu überführen. Dabei sollen insbesondere kleineren und mittleren Unternehmen Chancen eröffnet werden.
8.
Für das Post- und Fernmeldewesen werden die ordnungspolitischen und organisatorischen Grundsätze des Poststrukturgesetzes der Bundesrepublik Deutschland schrittweise verwirklicht.
III. Sozialunion
1.
Jedermann hat das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, bestehenden Vereinigungen beizutreten, aus solchen Vereinigungen auszutreten und ihnen fernzubleiben. Ferner wird das Recht gewährleistet, sich in den Koalitionen zu betätigen. Alle Abreden, die diese Rechte einschränken, sind unwirksam. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind in ihrer Bildung, ihrer Existenz, ihrer organisatorischen Autonomie und ihrer koalitionsgemäßen Betätigung geschützt.
2.
Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, gegnerfrei, auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und unabhängig sein sowie das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen; ferner müssen sie in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluß zu kommen.
3.
Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen werden nicht vom Staat, sondern durch freie Vereinbarungen von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Arbeitgebern festgelegt.
4.
Rechtsvorschriften, die besondere Mitwirkungsrechte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, von Betriebsgewerkschaftsorganisationen und betrieblichen Gewerkschaftsleitungen vorsehen, werden nicht mehr angewendet.



B. Leitsätze für einzelne Rechtsgebiete
I. Rechtspflege
1.
Vorschriften werden nicht mehr angewendet, soweit sie die Mitwirkung von Kollektiven, gesellschaftlichen Organen, der Gewerkschaften, der Betriebe, von gesellschaftlichen Anklägern und gesellschaftlichen Verteidigern an der Rechtspflege und deren Unterrichtung über Verfahren regeln; das Recht der Gewerkschaften zur Beratung und Prozeßvertretung in Arbeitsstreitigkeiten bleibt unberührt.
2.
Vorschriften werden nicht mehr angewendet, soweit sie die Zusammenarbeit der Gerichte mit den örtlichen Volksvertretungen und anderen Organen, die Berichtspflicht der Richter diesen gegenüber sowie die Gerichtskritik regeln.
3.
Die Vorschriften über die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft an der Rechtspflege werden nur noch angewendet, soweit sie ihre Mitwirkung im Strafverfahren und in Familienrechts-, Kindschafts- und Entmündigungssachen betreffen.
4.
Die im Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik auf die sozialistische Gesetzlichkeit sowie auf die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung bezogenen Grundsätze sowie Vorschriften, die der Verfestigung planwirtschaftlicher Strukturen dienen, einer künftigen Vereinigung beider deutschen Staaten entgegenstehen oder Grundsätzen eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats widersprechen, finden auf nach Inkrafttreten dieses Vertrags begangene Taten keine Anwendung.
5.
Soweit Vorschriften des Strafgesetzbuchs das sozialistische Eigentum betreffen, finden sie auf Taten, die nach Inkrafttreten dieses Vertrags begangen werden, keine Anwendung; die das persönliche oder private Eigentum betreffenden Vorschriften finden nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags auch Anwendung auf das sonstige Eigentum oder Vermögen.
6.
Soweit die in der Anlage II des Vertrags genannten Regelungen straf- oder bußgeldbewehrt sind und sich diese Bewehrungsvorschriften nicht in das Sanktionensystem der Deutschen Demokratischen Republik einfügen, wird die Deutsche Demokratische Republik diese Vorschriften ihrem Recht in möglichst weitgehender Angleichung an das Recht der Bundesrepublik Deutschland anpassen.
II. Wirtschaftsrecht
1.
Zum Zwecke der Besicherung der Kredite werden in der Deutschen Demokratischen Republik gleichwertige Rechte, insbesondere Grundpfandrechte, wie in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen.
2.
In der Deutschen Demokratischen Republik werden die Voraussetzungen für einen freien Kapitalmarkt geschaffen. Hierzu gehört insbesondere die Freigabe der Zinssätze und die Zulassung von handelbaren Wertpapieren (Aktien und Schuldverschreibungen).
3.
Es werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Verwaltungsakte und sonstige Anordnungen der in Artikel 3 Satz 3 des Vertrags genannten Behörden gegenüber Personen mit Sitz oder Wohnsitz in der Deutschen Demokratischen Republik, notfalls auch mit Zwangsmitteln, durchgesetzt werden können.
4.
Das bestehende Versicherungsmonopol in der Deutschen Demokratischen Republik wird abgeschafft, die Prämienkontrolle in den Versicherungszweigen, in denen die Tarife nicht zum Geschäftsplan gehören, wird beseitigt und die geltenden Rechtsvorschriften und Anordnungen über die Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen werden aufgehoben.
5.
Bestehende Hemmnisse im Zahlungsverkehr der Deutschen Demokratischen Republik werden beseitigt; seine privatrechtliche Ausgestaltung wird gefördert.
6.
Der Außenwirtschaftsverkehr ist grundsätzlich frei. Beschränkungen sind nur aus zwingenden gesamtwirtschaftlichen Gründen sowie aufgrund von zwischenstaatlichen Vereinbarungen zulässig. Die Deutsche Demokratische Republik wird das Außenhandelsmonopol aufheben.
7.
Zum Zwecke der Gewinnung vergleichbarer Grundlagen wird die Deutsche Demokratische Republik ihre Statistiken an die der Bundesrepublik Deutschland anpassen und in Abstimmung mit dem Statistischen Bundesamt oder der Deutschen Bundesbank Informationen nach den Maßstäben der Bundesstatistik aus folgenden Bereichen bereitstellen: Arbeitsmarkt, Preise, Produktion, Umsätze, Außenwirtschaft und Einzelhandel.
III. Baurecht
Die Deutsche Demokratische Republik wird zur Planungs- und Investitionssicherheit für bauliche Vorhaben baldmöglichst Rechtsgrundlagen schaffen, die dem Baugesetzbuch und dem Raumordnungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland entsprechen.
IV. Arbeits- und Sozialrecht
1.
Arbeitgeber in der Deutschen Demokratischen Republik können mit Arbeitnehmern aus der Bundesrepublik Deutschland, die vorübergehend in der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigt werden, die Anwendung bundesdeutschen Arbeitsrechts vereinbaren.
2.
Bei vorübergehenden Beschäftigungen von Arbeitskräften werden Befreiungen von der sich aus einer Beschäftigung ergebenden Versicherungspflicht in der Sozialversicherung ermöglicht, wenn eine Versicherung unabhängig von dieser Beschäftigung besteht.
3.
Die Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer werden innerhalb einer angemessenen Übergangszeit an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Arbeitsschutzrecht angepaßt.
4.
Die Deutsche Demokratische Republik wird bei einer Änderung der gesetzlichen Mindestkündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse die in der Bundesrepublik Deutschland für Arbeiter und Angestellte jeweils geltenden gesetzlichen Mindestkündigungsfristen nicht überschreiten.
5.
Die Deutsche Demokratische Republik wird für das Recht zur fristlosen Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus wichtigem Grund eine gesetzliche Regelung schaffen, die den §§ 626, 628 des Bürgerlichen Gesetzbuches entspricht.